Episoden aus dem Leben.

Monday, April 9, 2012

"Frühstück um Fünf"

Mein Mitbewohner kam gerade angetänzelt und verkündete, in einem Anflug von vollkommener Erkenntnis, eine grundsätzliche und unberührbare Wahrheit des Universums begriffen zu haben, und wollte sich damit vor mir in Szene setzen - mal wieder.
Selbstverständlich war ich sauer darüber, dass er immer nur seine frische Wäsche vom Ständer abhängt und ich war mir durchaus im Klaren darüber, dass ich ihn das spüren ließ, wenn auch nur subliminal, aber er spürte es. Er allerdings, mit seiner nahezu buddhistischen Veranlagung alle aufkommenden Wogen zu glätten, wie eine Hausfrau mit Bügeleisen bewaffnet vor der fertigen Monatswäsche, erfand in seiner spielerischen Schwärmerei (Okay, vielleicht erfand er ihn garnicht aber wir tun mal so) gleich einen Grund, der auch diese Falte unserer Beziehung leichtfüßig glätten sollte.

Natürlich sei meine Kleidung einfach immer noch nass, wenn er seine schon abhängt. Ja, sicher, meine Klamotten sind ja auch eine ganze Nummer größer als deine. Oh man, in solchen Situationen möcht' ich am liebsten ausrasten. Mit einem anfliegenden Lächeln schlucke ich den Ärger hinunter und antworte mit einem außerordentlich phatischen "Stier...". Ich wende mich jetzt wieder meinem Kaffee zu, dem einzig Wahren.
Welchen Grund kann es haben, dass der Typ praktisch immer deeskalierend auf meiner Schulter auftaucht, wo ist Donald Duck im Satanskostüm auf entsprechendem Platz? Immer wieder finde ich mich in so einem cartoonesken Szenario wieder, in der eine mahnend helle Stimme in mir zu Wort kommt. Nennt es Gewissen oder was auch immer, ich verstehe nur nicht, warum nie eine sinistre Stimme in mir quellt, sobald ich meiner Meinung mal was gutes vollbringe. Naja die Antwort auf so eine Frage fällt einem sicherlich nicht beim Frühstück ein, am Ende bin ich noch selbst dieser Teufel.
Was klar war, er setzt sich jetzt auch noch an den Tisch und beginnt sein Toast zu futtern. Dabei schmatzt er zwar nicht, doch seine Kaugeräusche sind lauter als jede Autobahnbaustelle - was auch klar war. Wie bitte? Bitte sprich nochmal mit vollem Mund, damit ich dich so wunderbar verstehen kann. Junge, Junge, wie bin ich nur hier rein geraten. Nein, das war keine Frage, ich weiß es doch. Trotzdem das geht auf keine Kuhhaut wie der versucht in der Gunst aller, die sich um ihn herum aufhalten, zu steigen. Das ist schon so gewollt, wenn du von der Arbeit ins Wohnzimmer stapfst, deine abscheulichen Füße mit deinen abscheulichen braunen Tennissocken vor mir auf dem Tisch abstellst und darauf wartest, dass wir Konversation haben? Ich bin mir sicher, du hattest einen sehr schlimmen Tag. Ich bin ganz untröstlich, ja, doch. Erzähl mir mehr darüber, wie gemein dein Chef ist, während du auf deinem Smartphone herumstreichelst. Gekauft mit dem Geld aus deinem Job, was sonst.
Was ich heute so gemacht habe? Keine Ahnung, nicht viel. Gezockt, mir Einen runter geholt, gekifft, 'ne instant Suppe gefuttert und dann alles von Vorne. Wen interessiert es, ich lass' dich doch auch in Ruhe. Scheiße ja, du solltest es endlich begreifen. Du kommst hier rein und schmeißt deinen Kadaver neben mir auf die Couch. Wenn ich dann so tue, als seist du nicht anwesend, ist das Absicht.
Ich spare mir persönlich zu werden und erzähle ihm all die Großtaten, die ich heut' vollbracht habe. Einkaufen, mhm... sogar gewaschen habe ich, die Wäsche vom Ständer hab ich auch abgehängt. War übrigens alles trocken.

Ich lasse meinen Blick jetzt endlich wieder wandern, der war durch das Bestreben gewisse Menschen zu ignorieren, wie durch Magie, starr geworden. Komisch, dass ich nichtmal dann meinen Hals wenden kann, wenn ich es auch will. Jedenfalls stoße ich dabei auf den einen Fleck an der Tapete, über den sich hier jeder schonmal aufgeregt hat. Wie kam der eigentlich nochmal da hin...
Einer dieser seltsamen Momente, in denen das Bewusstsein total abdriftet um bloß nicht mit dem Hier und Jetzt interagieren zu müssen. Lieber in die Langeweile flüchten als der Realität entgegenzutreten (quasi wie Mathe in der achten Klasse). Was mir langsam zu denken gibt ist nur, dass ich viel lieber der Waschmittelwerbung im Fernsehen lausche als meinem phrasendreschenden Kollegen, der mit seiner künstlichen Langeweile so langsam meine Geduld herausfordert. Und weil er jetzt endlich für einen Augenblick den Mund hält, herrscht das erste mal Ruhe, seitdem er den Raum betreten hat. Was er jetzt wohl denkt? Vielleicht hat er gemerkt, dass ich keine Lust auf ihn habe und er geht gleich wieder. Auf der anderen Seite bräuchte man für eine derart Dupin'sche Analyse ein Minimum an Emphatie... nein wirklich, das wäre zuviel verlangt. Ich schau' zwar nicht hin, trotzdem weiß ich einfach ganz genau, welchen Gesichtsausdruck er aufgesetzt hat. Die Miene, die wohl Lässigkeit vermitteln soll. Habe nie eine gelangweiltere gesehen.
Spontanes Kopfkino: Schaum vorm Mund. Wut. Donald Duck beißt dem Engel auf meiner Schulter den Kopf ab, beim Kauen zerbersten Knochen, ich höre wie die Schädeldecke aufknackt, dabei ertappe ich mich, wie ich ungewollt auf meinen Zähnen knirsche. Enten haben garkeine Zähne. Was für ein tougher motherfucker.

Dann schaue ich meinem Couchgenossen ausversehen ins Gesicht, für ihn das Signal zum weiterlabern. Man, muss dem langweilig sein. Gibt nichts langweiligeres als gelangweilte Menschen. Und gelangweilte Menschen mit Fußgeruch als topping sind unerträglich. Jetzt wird mir langsam schlecht, ich muss mal los.
Draußen dann die Ernüchterung, Zigaretten helfen bei Stress. Wie Schokolade nach einem Dementorenangriff bei Harry Potter. Hach, da wird mir gleich warm ums Herz. Bei den Schweißfüßen hätte es vielleicht noch eine Minute gedauert und ich hätte meine Nudelsuppe von vorhin körpertemperiert wiedergegeben. Wie der das selbst aushält ist mir schon ein Rätsel, aber eins von denen die vom Hippocampus aussortiert werden.
Dieser kleine Kerl ist wohl die wichtigste Schaltzentrale im Limbischen System und gehört damit zu den ältesten Einrichtungen des Gehirns. Er entscheidet, wie König Minos, welcher Gedanke in Erinnerung verbleibt, oder ins Nichts verdammt wird.

Blitzschnell drängt sich für mich da die Frage auf, was es wohl damit auf sich hatte, als die Natur zu dem Konsens kam, uns selbst gar nicht entscheiden zu lassen, welche Erinnerungen letztendlich wichtig für unser Überleben sind. Entscheidung. Ein Wort, dass für mich bisweilen seine Bedeutung verloren hat, da kann ich mir schlecht ein lautes Lachen verkneifen.
Was ist diese Entscheidung denn. Sie ist schon getroffen, wie das Wort es selbst suggeriert. Ein abwägen, ob man zur Waffe greift oder nicht - doch hat man's schon gemacht, wenn das Schwert "ent-scheidet" ist. Es geht also vielmehr um den Prozess des Entscheidens? Bruchteile von Sekunden in denen das Universum beweist, wie viele wertvolle Rätsel in ihm stecken. So lang wie ein Augenblick dauert, erhält man dann Einblick in wunderbare Vorstellungen und Gedanken, die ich nie aufgeschrieben habe, weil Minos das goldene Szepter schwang. Keine Erinnerung darf bleiben, es fühlt sich an als würde das eigene Haus abbrennen, als ginge ein ganzes Vermächtnis direkt flöten und man kann nichts daran ändern. Doch anstatt den Brand sehen zu können erblinde ich beim Versuch einen letzten Blick auf geliebtes zu erhaschen und die Gedanken verschwimmen.
    Alles unwichtiges Zeug, wenn's so wichtig war, wirst du dich schon nochmal dran erinnern (wer's glaubt wird selig).
Da geschieht es wieder und ich frage mich, ob der sich da drin mittlerweile die Füße gewaschen hat. Das nenne ich mal authorisierte Nahrung für das Seepferdchen im Kopf. Genau wie Woody bei Toy Story, darf auch dieses Rätsel nicht mit zum Pizzaplanet fahren. Hm, langsam bekomm ich doch wieder Appettit.