Episoden aus dem Leben.

Friday, October 13, 2017

Genussmensch

Beim folgenden Text handelt es sich um einen Auszug einer Fortsetzung zur kleinen Italienreise.
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Er war nicht sehr groß, hatte aber den Gang und die Kopfhaltung von großgewachsenen Menschen. Seine hageren Wangen waren glattrasiert, seine Schläfen ließen hier und da bereits einen goldenen Schimmer erkennen.
Ja, man konnte schon sagen, dass Denis ein Genussmensch war. Genussmensch, sagen wir leichtfertig, aus einem Gefühl heraus, insofern lässt sich der empirische Wert dieser Grille im besten Fall als äußerst unscharf bezeichnen, jedoch des Modus wegen wollte ich einmal noch auf diesem Wege die Chance auf eine leise Entschuldigung in Richtung des Lesers nutzen; doch sprachen wir vom Gefühl und das, nun ja, mag doch manchmal täuschen: Es ging einher mit Wielos auffallend angestrengtem Bemühen, seine Mundart zu verbergen, was ihm natürlich nie gelang. Seine Versuche zeichneten sich darin aus, dass er, dem Hochdeutschen untypisch, alle Endungen mit betonten Lauten aussprach (Leh-ben), wobei er sich jedoch derart abgehackt ausdrückte, alsdass man auch sonst ohne weiteres vermutet haben müsse, der Mann sei entweder in einem bewusstseinserweiterten Zustand oder eben das zuvor erwähnte träfe zu. Im Weiteren werden wir daher des Öfteren dazu geneigt sein, die Einfärbung der uns dargebotenen Sprache, obgleich es sich dabei nicht immer nur um Wielos Darbietungen handelte, abzuzeichnen, der Würze wegen und der Freude daran; und weil der kleinen Unendlichkeiten, soll heißen: der Vielfalten im Kleinen, hierbei auch gedacht sein soll.

Denis war ein Lustmensch aus denselben Gründen, weshalb wir ihn an Bord geholt haben; für unser Unternehmen war er unverzichtbar, denn: Wir würden uns von ihm entführen lassen. So leitet sich denn auch die Verführung vom althochdeutschen firfuoren her, mit welchem wir hier gern vom Hinübertragen, Fortgehen, Übergehen sprechen wollten. Wielos eigenen Motiven war ich zu dieser Zeit noch immer auf der Spur, zu deutlich schien die Angst vor einer plötzlichen Absage auf die allerletzte Minute noch aus mir hervor, die mich allerdings im Gegenzug damit entlohnte, dass ich meine Androhung, wir würden gleich jeden Wetters starten, wohl auch hätte in die Tat umsetzen können. Obwohl wir jetzt hier waren und es im Begriff war loszugehen, wusste ich nicht, ob der Plan noch stand, doch dazu später Ausführlicheres. Wir waren geneigt, Denis einen Lustmensch zu nennen, einen Lustmensch dergestalt aber, der einen Kaktus sieben Wochen lang mit durch den Schwarzwald hindurchträgt, den gesamten Westweg zu Fuß, den Kaktus pflegend, halb aus Spaß (und halb der Ironie wegen).
Beim Westweg handelt es sich übrigens um den ältesten Wanderweg Deutschlands, welcher sich von Pforzheim nach Basel über ungefähr 285 Kilometer erstreckt. Nach Wanderungen in Europa war Südamerika dran, danach der Himalaya. Auf seine aufregendste Reise angesprochen, wird uns Denis im Laufe des Tages noch verraten, würde ihm Nepal in unbeschreiblicher Erinnerung bleiben.


In der Tat, wir hatten unseren Sherpaführer gefunden, der uns Landratten im Hawaiihemd einmal mitnehme würde, uns seinen Blick schenkend; und ja: Er war ein Genussmensch! Das stimmte, doch der Genuss den er suchte, war der Genuss in seiner fragmentiertesten Form; ein Meer aus Genüsschen, die ihren Ausdruck auch im Exzess der Sprache finden, bei dem es nicht darum geht die Dosis zu erhöhen, sondern sich selbst, nachdem man verstanden hat was es bedeutet, nichts zu haben, scheinbar, lediglich den Gedanken daran haltend, es sei ein großes Glück einmal die Perspektive einzunehmen, aus der schon eine Dusche auf der Haut als derjenige Luxus begreiflich erscheint, als der er üblicherweise zu übersehen gepflegt wird; der er aber zweifellos ist. Anstatt sich also dafür zu schämen diese Begriffe entdeckt zu haben, schafft man einen Genuss daraus – dieser war es, der Denis zum Genussmensch machte. 

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