Episoden aus dem Leben.

Thursday, March 7, 2019

Teil des Exkurses über das Vorhaben meiner Erzählung


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Mir schien, das Experiment sei dann gelungen, wenn die bestimmten Gemütszustände beim Verfassen in der Form des Textes Ausdruck fänden. Mit dieser Entscheidung fiel, ob seiner Formlosigkeit, für die mediale Umsetzung meines Vorhabens die Wahl auf das Palimpsest als Gattung. Dabei ist schon diese Wortwahl, wenn ich einmal „Sprachmetaphysik in eigener Sache“ betreiben dürfte, in ihrer Uneindeutigkeit der Ausdruck der Verdopplung und der Rückwärtsbewegung; soll heißen: Das Palimpsest zeichnet nicht seine Formlosigkeit per se aus, sondern es zeichnet es aus, dass seine Form die Formlosigkeit, der Wandel - mehr noch: die Wende ist. In diesen Nuancen werden die wahren Kriege ausgefochten, nämlich die, die mit dem Kosmos geführt werden (und gegen die Seelenfängerei). Dieser Begriff ist aufgrund seiner Offenheit für Auslegung gleichzeitig im weitesten Sinne die korrekte Bezeichnung für den vorliegenden Text als auch im konkreten Sinne, da dieser in der beschriebenen Charakteristik beispiellos ist.

Die Konsequenz derjenigen Erkenntnis, die ich von meiner Chinafahrt und, viel früher schon, von der kleinen italienischen Reise in der Lage war zu empfangen, war, überall dort, wo die Sprache holprig wird, sich zu fragen, ob das nicht der Text an sich ist, der da vermittelnd reagiert auf das, was inhaltlich vor sich geht, über die Sprache hinaus deutend. Der Inhalt des Textes, noch bevor er interpretiert werden kann, interpretiert seinen eigenen Inhalt auf der Ebene seiner Form. Mir ist das zufällig begegnet. Wie im Prolog beschrieben, wollte ich „das eigentlich noch gar nicht“ aufschreiben. Dieser gereizte Zustand, diese „kindische lila Laune“, wie ich sie auf dem Weg nach Qintian beschrieben habe, ist der Ausdruck der Infantilität, der Ausbruch aus einer dünnen Schicht der konditionierten Handlungsmuster, die ach so oft als Masken Bezeichnung finden: contrainte sociale als Grund der Sucht. Das ist unangenehm, das sind Seiten an uns, die wir allzu gerne verbergen: Wir stolpern nicht gern, wenn jemand zuschaut. Nun stolperte ich zufällig darüber und fühlte mich direkt an solche Leute wie Soupault und Bréton erinnert, die mit ihrer écriture automatique einen wesentlichen Gedankenansatz dazu boten: Diese Beobachtung war es wert, verfolgt zu werden.



Als nächstes überlegte ich, wie ich diesen Zustand erneut herbeiführen könne und da es mir ulkig vorkam, ihn erzwingen zu wollen, wartete ich im Bewusstsein, die Chance nächstes Mal, sobald sie sich böte, zu nutzen. Ich weiß nicht wie oft ich vor dem Verfassen des Prologs liegen geblieben bin; wieviele handwerklich ausgefeiltere Varianten ich im Zuge des Redigierens davon hätte machen können – ich verbat es mir. Damit verbat ich mir auch direkten Zugang zum Schreibprozess, da das, was man in der Folge als einen kreativen Schub bezeichnen könnte, sich nicht jeden Tag ereignet (und auch nicht jede Woche). Das Werden des Textes aus eloquenter Stille hat ein trotziges Eigenleben und entzieht sich gefühlt der Kontrolle des Verfassers (das kann ich im Wesentlichen bestätigen).

Mit dieser mir vom Text aufgezwungenen Strategie war eine direkt körperliche Dimension der Erzählung angelegt und die zeitliche Dimension, die die Inhalte von ihrer Inszenierung in demselben Text, den du jetzt liest, abgrenzt, ist die eigentliche Zeit, die hier vergangen ist. Diese Reise ist endlos teleskopiert, kein Land in Sicht, was sie ihrer Logik nach zur Wanderung werden lässt. Diese Komponente ist es, die im Text immer mitschwingt, immer mit kommuniziert wird. Die Bedeutung dieses Buches lässt sich nicht allein in den Buchstaben finden, die in es gedruckt worden sind. Eine Tatsache, die jedoch durch den récit erst lesbar wird.



Die Entscheidung über die Struktur des Textes schafft Schlüsselstellen, an denen bestimmte Melodien, Stimmungen und Rythmen, allem voran diejenigen, die man mit dem Körper wahrnimmt: die unangenehme Sättigung, das Stirnrunzeln, die Entfremdung gegenüber allem, was man nicht gewöhnt ist (man stelle sich mal vor, Kinder würden der sich ihnen darbietenden Welt mit solchen Bauchschmerzen begegnen); all diese Empfindungen also, deren Begriffe die meisten verlernt haben; all diese Lust bringt der Text an die Oberfläche und nutzt sie als Vehikel, um mit und in ihr wieder hinabzusteigen. Diese Lust ist aber kein Schatten, der allein sich auf das unmittelbar Erfahrbare, Sensorische, bezieht: Sie vermittelt zwischen Stil und Inhalt, genauso wie zwischen Vermarktbarkeit und Lesewiderstand, und schafft Übergänge in alle Richtungen des Archipels, in dessen Rahmen die vorliegende Fiktion eingebettet ist.



Man kann wahrhaftig nicht sagen, ich sei dankbar darüber, dass der Begriff der Literatur auch die Kulturindustrie dahinter einschließt, die jede Erzählung als das Erwartbare (und das ist nicht zu verwechseln mit dem, was als realistisch gilt!) prägt. Trotzdem muss betont werden, dass die Form, die ich wähle nicht ohne den Einfluss, man könnte auch sagen Kontext, auch dieser Faktoren hätte enstehen können. Natürlich überrascht das nicht: Unsere Wanderung ist eine Wanderung hinab, auch wenn das Auge an bestimmten Stellen eine kleine Welle zeichnet, so ist mich zu lesen ein stetiges Sicheingewöhnen in zunächst fremd wirkende Denkmuster und mit jeder Meterzahl steigt der Druck auf mich, dir endlich zu erklären, was ich denn mit all dem meine, bevor dir die Luft ausgeht. Manchmal wirkt deswegen die Laune des Textes gegen mein eigentliches Bestreben und obwohl ich schon viel dazu gelernt habe muss ich gestehen, begleitet mich mit jeder Zeile die Furcht davor, ich könne dich nie erreichen, auch wenn ich dich noch so sehr in die Tiefe ziehe.

Was ich dir im doppelte Sinne sage ist das, was ich auch Brummer sagen will (und während des Redigierens auch wiederholt ihm mitgeteilt habe), nämlich: An und für sich kann ich dir nichts erklären, habe es auch nie versucht, schreibe nur (und be-schreibe nicht). Trotzdem fordere ich dich heraus, doch nicht ohne meine Demut glänzend zu polieren, das sollst du wissen; wo doch jeder Absatz, den du mich weiterverfolgst, der Sonne Glast in meine Augen scheint. Selbstverständlich möchte ich mich mitteilen. Es wäre lächerlich zu behaupten, ich schriebe allein der Eigentherapie halber; lächerlich, weil es im gleichen Atemzug jeden an der Verständigung zwischen Menschen Interessierten immer schon im Vorhinein denunzierte. Den Einwand, ich dürfe nichts sagen, da ich alles durch meine Linse betrachte, weise ich genauso mit gerümpft eurozentrischer Nase zurück, wie die Behauptung, auch diese Entscheidung sei in sich selbst nicht ambig.



Das Wichtigste schließlich für mich war, die Stimmen, die mich umtreiben, zu würdigen. Namen zu nennen geziemt sich aus verschiedenen Gründen nicht. Allein der Tradition, in der sie stehen wegen fiele es mir schwer, dem Personenkult Raum zu schaffen und ebenso fiele mir, mit Verlaub, auch nicht ein, den Ahnungslosen zu kränken, sowie (den Kenner) wiederholt zu langweilen. Dabei mag ich nicht zu wagen hoffen denjenigen, der mir bereits soweit Zugang zu sich gewährte, dass er bis hierhin las, auch noch auf Perlentauchgang zu schicken; vielmehr sind die anonym zitierten Stellen als auch die stilistischen Allusionen als Boote zu anderen Inseln zu verstehen, die die innere Karte erweitern, ob nun gezielt angesteuert oder darüber gestolpert.

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