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Mir
schien, das Experiment sei dann gelungen, wenn die bestimmten
Gemütszustände beim Verfassen in der Form des Textes Ausdruck
fänden. Mit dieser Entscheidung fiel, ob seiner Formlosigkeit, für
die mediale Umsetzung meines Vorhabens die Wahl auf das Palimpsest als Gattung. Dabei ist schon diese Wortwahl, wenn ich einmal
„Sprachmetaphysik in eigener Sache“ betreiben dürfte, in ihrer
Uneindeutigkeit der Ausdruck der Verdopplung und der
Rückwärtsbewegung; soll heißen: Das Palimpsest zeichnet nicht seine
Formlosigkeit per se aus, sondern es zeichnet es aus, dass
seine Form die Formlosigkeit, der Wandel - mehr noch: die Wende ist. In diesen Nuancen werden die wahren
Kriege ausgefochten, nämlich die, die mit dem Kosmos geführt werden
(und gegen die Seelenfängerei). Dieser Begriff ist aufgrund seiner
Offenheit für Auslegung gleichzeitig im weitesten Sinne die korrekte
Bezeichnung für den vorliegenden Text als auch im konkreten Sinne,
da dieser in der beschriebenen Charakteristik beispiellos ist.
Die
Konsequenz derjenigen
Erkenntnis, die ich von meiner Chinafahrt und, viel früher schon,
von der kleinen italienischen Reise in der Lage war zu empfangen,
war, überall dort, wo die
Sprache holprig wird, sich
zu fragen, ob das nicht der Text an sich ist, der da vermittelnd
reagiert auf das, was inhaltlich vor
sich geht, über die Sprache hinaus deutend. Der Inhalt des
Textes, noch bevor er interpretiert
werden kann, interpretiert seinen eigenen Inhalt auf der Ebene seiner
Form. Mir ist das zufällig begegnet. Wie im Prolog beschrieben,
wollte ich „das eigentlich noch gar nicht“ aufschreiben. Dieser
gereizte Zustand, diese „kindische lila Laune“, wie ich sie auf
dem Weg nach Qintian beschrieben habe, ist der Ausdruck der
Infantilität, der Ausbruch aus einer dünnen
Schicht der konditionierten
Handlungsmuster, die ach so oft als
Masken Bezeichnung finden: contrainte
sociale als
Grund der Sucht. Das
ist unangenehm, das sind Seiten an uns, die wir allzu gerne
verbergen: Wir stolpern nicht gern, wenn jemand zuschaut. Nun
stolperte ich zufällig darüber
und fühlte mich direkt an solche Leute wie Soupault und Bréton
erinnert, die mit ihrer écriture
automatique einen
wesentlichen Gedankenansatz dazu boten: Diese Beobachtung war es
wert, verfolgt zu werden.
Als
nächstes überlegte ich, wie ich diesen Zustand erneut
herbeiführen könne und da es mir
ulkig vorkam, ihn erzwingen zu wollen, wartete ich im Bewusstsein,
die Chance nächstes Mal, sobald sie
sich böte, zu nutzen. Ich weiß nicht wie oft ich vor dem Verfassen
des Prologs liegen geblieben bin; wieviele handwerklich ausgefeiltere
Varianten ich im Zuge des Redigierens davon hätte machen können –
ich verbat es mir. Damit verbat ich mir auch direkten Zugang zum
Schreibprozess, da das, was man in der Folge als einen kreativen
Schub bezeichnen könnte, sich nicht jeden Tag ereignet (und auch
nicht jede Woche). Das Werden des Textes aus
eloquenter Stille hat ein
trotziges Eigenleben
und entzieht sich gefühlt der Kontrolle des Verfassers (das kann ich
im Wesentlichen bestätigen).
Mit
dieser mir vom Text aufgezwungenen Strategie war eine direkt
körperliche Dimension der Erzählung angelegt und die zeitliche
Dimension, die die Inhalte von ihrer Inszenierung in demselben Text,
den du jetzt liest, abgrenzt, ist die eigentliche Zeit, die hier
vergangen ist. Diese Reise ist endlos teleskopiert,
kein Land in Sicht, was sie ihrer Logik nach zur Wanderung werden
lässt. Diese Komponente
ist es, die im
Text immer mitschwingt, immer mit
kommuniziert wird. Die Bedeutung dieses Buches lässt sich nicht
allein in den Buchstaben finden, die in es gedruckt worden
sind. Eine Tatsache, die
jedoch durch den
récit erst lesbar
wird.
Die
Entscheidung über die Struktur des
Textes schafft Schlüsselstellen, an denen bestimmte Melodien,
Stimmungen und Rythmen, allem voran diejenigen, die man mit dem
Körper wahrnimmt: die unangenehme Sättigung, das Stirnrunzeln, die
Entfremdung gegenüber allem, was man nicht gewöhnt ist (man stelle
sich mal vor, Kinder würden der sich ihnen darbietenden Welt mit
solchen Bauchschmerzen
begegnen); all diese Empfindungen also, deren
Begriffe die meisten
verlernt haben; all diese Lust
bringt der Text an
die Oberfläche und nutzt sie als Vehikel, um mit und in ihr wieder
hinabzusteigen. Diese Lust ist aber kein Schatten, der allein sich
auf das unmittelbar Erfahrbare, Sensorische, bezieht: Sie vermittelt
zwischen Stil und Inhalt,
genauso wie zwischen Vermarktbarkeit und Lesewiderstand, und schafft
Übergänge in alle Richtungen des Archipels, in dessen Rahmen
die vorliegende Fiktion eingebettet ist.
Man
kann wahrhaftig nicht sagen,
ich sei dankbar darüber,
dass der Begriff der Literatur
auch die Kulturindustrie dahinter einschließt, die jede Erzählung
als das Erwartbare (und das ist nicht zu verwechseln mit dem, was als
realistisch gilt!) prägt. Trotzdem muss betont werden, dass die
Form, die ich wähle nicht ohne den Einfluss, man könnte auch sagen
Kontext, auch dieser
Faktoren hätte enstehen können. Natürlich überrascht das nicht:
Unsere Wanderung ist eine Wanderung hinab, auch wenn das Auge an
bestimmten Stellen eine kleine Welle zeichnet, so ist mich zu lesen
ein stetiges Sicheingewöhnen in
zunächst fremd wirkende Denkmuster und mit jeder Meterzahl steigt
der Druck auf mich, dir endlich zu erklären, was ich denn mit all
dem meine, bevor dir die Luft ausgeht. Manchmal wirkt deswegen die
Laune des Textes gegen mein eigentliches Bestreben
und obwohl ich schon viel dazu gelernt habe muss ich gestehen,
begleitet mich mit jeder Zeile die Furcht davor, ich könne dich nie
erreichen, auch wenn ich dich noch so sehr in die Tiefe
ziehe.
Was
ich dir im doppelte Sinne sage ist das, was ich auch Brummer sagen
will (und während des Redigierens auch wiederholt ihm mitgeteilt
habe), nämlich: An und für sich kann ich dir nichts erklären, habe
es auch nie versucht, schreibe nur (und be-schreibe nicht). Trotzdem fordere ich dich
heraus, doch nicht ohne meine Demut glänzend zu polieren, das sollst
du wissen; wo doch jeder Absatz, den du mich weiterverfolgst, der
Sonne Glast in meine Augen scheint. Selbstverständlich möchte ich
mich mitteilen. Es wäre lächerlich zu behaupten, ich schriebe
allein der Eigentherapie halber; lächerlich, weil es im gleichen
Atemzug jeden an der Verständigung zwischen Menschen Interessierten
immer schon im Vorhinein denunzierte. Den Einwand, ich dürfe nichts
sagen, da ich alles durch meine Linse betrachte, weise ich genauso
mit gerümpft eurozentrischer Nase zurück, wie die Behauptung, auch
diese Entscheidung sei in sich selbst nicht ambig.
Das
Wichtigste schließlich für
mich war, die Stimmen, die
mich umtreiben, zu würdigen. Namen zu nennen geziemt sich aus
verschiedenen Gründen nicht. Allein der Tradition, in der sie stehen
wegen fiele es mir schwer, dem Personenkult Raum zu schaffen
und ebenso fiele mir, mit Verlaub,
auch nicht ein, den Ahnungslosen zu kränken, sowie (den Kenner)
wiederholt zu langweilen. Dabei mag ich nicht zu wagen hoffen
denjenigen, der mir bereits soweit Zugang zu sich gewährte, dass er
bis hierhin las, auch noch auf Perlentauchgang zu schicken; vielmehr
sind die anonym zitierten Stellen als auch die stilistischen
Allusionen als Boote zu anderen Inseln zu verstehen, die die innere
Karte erweitern, ob nun gezielt angesteuert oder darüber gestolpert.
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