Die
weiteren Zuggäste ziehen es vor, im immer noch kühleren Abteil ihr
Dasein zu fristen, wodurch wir uns oberflächlich ergänzen, da ich
es vorziehe, allein zu sein. Das hat man auch selten: In der Bahn
sitzen und nichts außer seinen eigenen Geräuschen zu hören, mal
ganz abgesehen von der rauschenden Außenwelt. Einzig beim
gelegentlichen Schlucken, stört die Kehle, vertrocknet. Hin und
wieder wird die gesamte Bahn von vorbeifahrenden Schnellzügen
durchgerüttelt; wer die Hitze mag, fühlt sich wie im Mutterleib.
Die
Temperaturen steigen stetig; so, wie die Minuten gerinnen,
vergeistern die Wasserreserven in der Atemluft und ich denke an diese
eine Kurzgeschichte von Cortázar, die ich mal geschrieben habe...
"Geschrieben" schreibe ich schon, ich meine natürlich
gelesen. Ein guter Leser muss virtuell gut schreiben können, das
habe ich mir gemerkt. Sowie ich jedoch diese Zeilen auf den
hellblauen Bildschirm bringe, wird dem Zug ein Schock verpasst.
Handelte es sich um eine Wiederbelebungsmaßnahme oder werden wir
abgeschleppt? Kurz denke ich, dass es schade ist, weil es mir gerade
so leicht von der Hand geht, von hier drüben, doch die als Bedauern
sich maskierende Hoffnung verblasst bereits nach wenigen
Augenblicken, genau wie mein Bildschirm. Es tut sich nichts:
Schiffbruch.
Die
Zeit kann man aus der Luft fischen, Burgen aus ihr bauen, mit
trutzigen Zinnen, oder man lässt es. Auf einem dünnen Film aus
Schweiß rutscht meine Brille jetzt ungehindert auf das spitze Ende
meines Nasenrückens zu, zwar aus Gewohnheit rücke ich sie jedesmal
nach oben, zum Anfang, zurück, doch ich frage mich, wie lang es
dauern würde, bis zur hemmungslosen Aufgabe bekannter
Handlungsmuster, bis zum Schulterschluss mit dem Herrn der Fliegen.
Noch
eine gute Geschichte für den Sommer, denke ich mir gerade als unter
mir eine Tür im quietschenden Ton, vielleicht unter großer Mühe
händisch aufgestemmt, sich öffnet. Eine Stimme ruft herein: "Sieht
erstmal besser aus, schonmal". Im unteren Teil geht der zur
Stimme gehörende Unsichtbare vorbei, wohlmöglich ist es der
Lokführer, wer weiß, ins nächste Abteil. Ich höre noch seinen
dicken Schlüsselbund klimpern, höre ihn zu Mitreisenden sagen: "So,
geht gleich weiter". Danach ertönt das Durchsagesignal, obwohl
eine Durchsage noch auf sich warten lässt. Wieder klingt der
Schlüsselbund unter meinen Füßen, lockt mich abermals auf die
andere Seite. Von weit her höre ich noch dumpf, wie er, dort
angekommen, auch denen versichert, er hielte uns auf dem Laufenden,
es sähe aber so aus, als kämen wir zumindest zum nächsten
Bahnsteig, irgendwie. Das ist das Letzte, woran ich mich erinnere.
Ich fühle mich seltsam wohl dabei, dass er nicht zu mir hoch
gekommen ist.
Vielleicht
hat er vergessen, dass ich hier bin. Die ganze Stadt scheint's zu
vergessen, das Land, die Welt dahinter, die es angeblich gibt, wer
weiß das schon so genau. Wo war ich? Ach ja, im Abteil, das ein
ächzendes Geräusch von sich gibt, voll von toter Luft; Andacht auf
den Kirchenbänken, wie damals, nur viel metallischer, anhaltender.
Ich
bin jetzt sehr froh, dass der Zug zum Stehen kam, auch wenn wir schon
die ersten hundert Meter entrückt sind, auch wenn ich nur noch
verbrauchte Luft einatme und mein Unterhemd wie eine zweite Haut an
mir klebt; genau wie meine Sprache, die im günstigsten Fall doch nur
die Hälfte dessen bedeckt, was sie zu umfassen gedacht war. Wie die
Zeit so vergeht und je mehr Zeilen ich fülle, desto enger wird
unsere Verbindung und um so mehr von mir fließt in sie ein.
Wir
fahren noch eine ganze Weile so weiter, unter dem ständigen Knarzen
dieser röchelnden, sich schwerschleppenden, alten, Lok. Langsam
passieren wir Grunewald, mit Glück werden wir es sogar bis Wannsee
schaffen. Wie es von dort weitergehen wird?, ich bin nicht sicher.
"Verehrte
Fahrgäste, unser Zug verendet in Berlin Wannsee. Reisende nach
Potsdam Hauptbahnhof, nutzen bitte die S-Bahn."
Ich
weiß nicht mehr, wohin ich ursprünglich wollte. Nur Durst. Will mir
etwas beim Kios'... vielleicht ein Bier, vielleicht ein Ruderboot.
Ach, nur ein Gummiboot. Und hinaus und verbrenne und zerfließe
gleichzeitig; lasse endlich los. Verschütte dabei, in Andenken an
den lieben Kleist, meine Bierdose. Sie treibt allein, wie ein Korken
auf dem Meer, er nickt ein, in sich, versunken.