Episoden aus dem Leben.

Monday, February 8, 2016

"Balzacsche Kamerafahrt"

Und dann sind die Türen wieder verschlossen. Alle nehmen nach und nach ihre Plätze ein und das Schauspiel beginnt mit neuen Akteuren einvernehmlich von vorne. Wildes durcheinandergequatsche der einen wird von starren, parallelen Blicken der anderen aufgewogen. Sie beobachten die Welt in ihren kleinen Geräten und müssen es auch, ist es ihnen doch nicht gestattet auch nur ein winziges Detail unbeachtet zu lassen. Die anderen erklären ihren Gegenübern jede noch so witzlose Kleinigkeit ihres Alltags, als persiflierten sie einen Balzac, während sie sich an ihren Kaffee im Pappbecher klammern. Gustaf sitzt am Rand der Sitzbankreihe, die Ohren nach innen und die Augen nach außen gewandt. Hier und da schnappt er etwas auf, zwingt sich nicht über die Natur der Menschen zu urteilen, deren Bewegungen ihm künstlich naiv, fast mechanisch choreografiert vorkommen. Oft schon musste er die Bahnfahrten damit verbringen sich seiner Verwunderung über die Sinneskälte dieser für ihn grauen Masse klarzuwerden. Heute sticht ihm die tiefstehende Herbstsonne in die Augen und auch die vorbeiziehenden Gebäude fallen ihm auf. Wie einsame Seelen hoffen sie, dass von der Reflexion ihrer arroganten Augen Notiz genommen wird, doch allerhöchstens wird der im Nachbargebäude sitzende Büroangestellte genervt die Jalousie abblenden, um in Ruhe gelassen zu werden.
Durch seine Fenster sieht Gustaf eine gedachte Welt und die Fensterscheibe der Bahn, die zwischen ihm und der Straße wie eine Folie schwebt, ist wie für gewöhnlich mit dem Dreck der Straße behaftet, der gerade an sonnigen Tagen unheimlich präsent zu sein scheint.

Tuesday, August 11, 2015

"Diktat der Kausalität"

Kopf ist leer, Poesie ist alle. Klingt wie ein Wochenende auf Malle. Doch ich schätze das Ganze hat ja auch einen Sinn. Wenn man sich berauscht erscheint das Herumfahren mit der U-Bahn gleich einem großen Abenteuer, atemberaubend und angsteinflößend. Seit ich diesen "Steckbrief" Artikel einreichte sind ein paar Tage vergangen, meine flirtnews gecheckt habe ich bisher noch nicht. Sobald sich Zeit dafür findet, werde ich's mit dieser Bestie aufnehmen. Es lockt mir schon ein Schmunzeln auf den Mund dabei daran zu denken, dass der Hydra immer dann zwei neue Köpfe wachsen, sobald man einen abschlägt. Die Menschen um mich herum gleichen einer Hydra mit hundert Köpfen, lauernd, abwartend. Sie ahnen meine Schwäche, sie blicken in meine Seele. Mein Spiegelbild im Fenster verrät mir, wer es ist, den die Bestie symbolisiert und wiegt mich in Erstaunen, bis sich aller Zweifel in tausend kleine Teile verliert und er ganz winzig wird und sehr egal...
Zweifelsohne wird eine Episode aus meinem Leben aufgenommen. Für den der sie findet sei noch eins gesagt: er steige aus wann immer er will.
Er wird ja auch schon gemerkt haben, dass er sich, ebenso wie ich, bereits im Bauch der Schlange befindet. Mir sieht man's auch an wie absichtlich reingezwängt ich hier rumhänge. Zur Gesellschaft dazugehören aber die Gesellschaft verachten, nachts den Blick zwischen Tresen und Schlafzimmer, tagsüber zwischen Schreibtisch und Kaffeeautomaten. Dazwischen rausgehen um mehr zu arbeiten. Man kennt's, also warum bemühe ich meine Schreibmaschine für solch eine Ode an den Alltag, anstelle sie für ein Diktat der Kausalität einzutauschen, das mir mit gespaltener Zunge ins Ohr flüstert? Um diese Frage zu lösen müsste ich mich zunächst einmal setzen können, daher gebe ich sie aus gegebenem Anlass direkt an Sie weiter, um darüber zu lachen, denn Grübeln ist aus der Mode gekommen wie Zweckreime und im Untergrund kommt einem sowas teuer zu stehen. Aus diesem Grund empfehle ich mich ein weiteres mal und füge nur hinzu, dass ich es kaum erwarten kann, wieder einzusteigen.

"Jammern auf hohem Niveau"

Aus der Redaktion und ab in die unheimliche Welt des Berufsverkehrs. Der Leser mag an dieser Stelle bloß nicht auf die Idee kommen, mir nahezulegen, ich solle mir diesen Kunstgriff aus dem Kopf schlagen, denn die U-Bahn hat ihre eigenen Gesetze und denen hat sich jeder zu beugen. Eigene Aromen, eigene Horrorshow und meistens einen toleranzüberlastenden, eigenen Musikgeschmack. Ich hab es mir rausgesucht und so tauche ich unter, tausche Tag mit Zwielicht, lass mich von einem Flyerverteiler breitquatschen, mal wieder, nehme die Treppenstufen nach unten doppelt. Drinnen nehme ich mir erstmal Zeit darüber nachzudenken, wie ich denn jetzt bei meinem Projekt, dessen erster Teil der Artikel war, weiterverfahren werde und dann liegt es plötzlich auf der Hand.
Ganz sicher ist ein Treffen mit einer der sich meldenden Personen möglich. Was wenn's ein Mann ist? Würde der Story wenigstens einen Hauch modern verleihen und wäre auch nicht das erste mal. Was wenn doch nicht? Für eine Frau müsste ich mir wenigstens nicht wirklich was überlegen.
Auf dem Weg ins Herz einer Frau wurden irgendwann einmal die Stiergestalt des Zeus und der Goldregen der Diana als Modernisierungsmaßnahme eingetauscht für Pferd und Esel. Mittlerweile ist ein update für diese überfällig, daher tausche ich sie wiederum ihrerseits ein für seg-ways, skate-boards, short-boards, long-boards, kick-boards, sky-cars und schwarze Löcher. Die Vorteile modisch viel präsentere Vehikel zu nutzen sind einmal die rausgepatchten Tierversuche, was die ganze Fahrt blissfully mit insta-filtrierter Sommerbrise im Gesicht inszeniert. Zweitens wurde endlich die Geschlechtsspezifik entproblematisiert, nachdem man sie dafür zunächst einmal hatte problematisieren müssen, aber so kann jede/s/r seine Identität frei wählen, sofern er sich dazu entscheiden möchte...was kein Muss ist. Denn gerade die Igno-ääh Toleranz wird durch die gesellschaftliche Normativierung der Volks-Libido herausgestrichen. Die Hauptidee ist halt, dass man das Gefährt wählt, das individuell auf seine innersten Wünsche abgestimmt ist, denn schließlich fand man heraus, dass sich daraus ja auch ein Problem machen lässt; wenn's der Frau gefällt, auch gut.
Letztendlich ist es ja nicht so, dass Frauen nicht erobert werden dürfen, aber heute will das auch keiner mehr. Postkolonial weiß man natürlich, dass erobern auf Dauer nur nervig ist, deswegen sagt man sich, viel wichtiger als Krieg ohne Aussicht auf wirtschaftlichen Mehrwert zu führen, wäre eine Variante ohne einprogrammierte Nachteile. Also kümmert man sich stattdessen um seine Reflektion in der Windschutzscheibe, besorgt, liebevoll, lentement.
Oh, da habe ich mich doch glatt von der Polemik vereinnahmen lassen und die ganze Gesellschaft größer aufgeblasen als sie's wert ist. Wie sagte mal ein guter Freund nach einer typischen Diskussion über das Leben, das Universum und den ganzen Rest: "Haben wir heute irgendwelche Probleme gelöst?", und nein, wir hatten in der Tat keine gelöst, was mich denken lässt, man müsse nicht dauernd für andere mitdenken oder trotzige Heucheleien in der Gegenwart anderer als Lebensweisheiten ausgeben. Lange Rede, kurzer Sinn, ein Schulterzucken später dreht sich die Welt genauso weiter, werft aber besser eure Lupen weg und vergesst, dass ihr welche hattet, kleiner Tip am Rande.
Im Grunde genommen gibt es nämlich keinen Anlass dafür Liebe in der Literatur zu suchen oder gar Literatur zu betreiben, weil sie bekanntlich dauernd am Ende ist. Ihren sprichwörtlichen Sarg hat man nur irgendwann durch eine Pappschachtel ersetzt und dann Schrödingers Katze eingesetzt, oder auch nicht, das weiß ich jetzt nicht mehr so genau. Auf jeden Fall versteht sich von selbst, dass ab sofort ein viel ausgelassener Ton herrschen muss, denn vom vielen Nörgeln wird eine Geschichte auch nicht beseelt, sondern Jammern auf hohem Niveau.
Wäre jetzt ein Leser dabei, der mir unterstellte ich könne meine Gedanken nicht präzise genug formulieren, ich würde ihn mit Handschlag auf ein Bier einladen und ihm die Gründe erklären! Problematisch für mich aber, denn am Ende des Abends hätte ich entweder das Problem, mich nicht gut genug verkauft zu haben, oder wir wären dann beste Freunde, hätten aber keinerlei Probleme gelöst. Klassisches Dilemma.
Voilà! Man sieht ja, dass ich gerade einfach nicht anders kann als mich in Selbstzerstreuung aufzulösen. Manches muss man irgendwann einsehen und mitnehmen. Wie diese Geschichte, die auf dem Weg zur Arbeit und zurück entsteht. Quasi zwischen Redaktion und Redigieren redigiere ich mein Leben und blende mich perfekt in meine Umwelt ein, die sich neben mir sitzend auch aufzulösen scheint. Ich muss es tun, wie der Löwe, der beschämt nach seinem Rudel schaut, nachdem er gegen einen Baum gelaufen ist. Mein Selbstvertrauen reichte gar nicht dafür aus einfach weiterzulaufen als sei nichts gewesen, geschweigedenn den Baum dafür verantwortlich zu machen. Man kann ja auch ganz einfach die Welt verantwortlich machen. Würde einer widersprechen, wenn ich sagte es lebte sich so viel angenehmer?
Und da kommt auch schon meine Station; eine Antwort werde ich deshalb höchstens nachreichen können. Doch auch trotz all des Katzenjammers mit Schrödinger und der Liebe zur Literatur glaube ich, dass sie ja doch existiert. Vor Gericht würde ich das aber vermutlich widerrufen, umso besser, dass ihr eure Lupen weggeworfen habt. An dieser Stelle shoutout an den BND, die NSA und CIA – ihr wart schon immer teh real Raubkatzen.

Friday, November 29, 2013

Babel gegen Morgen


6.40 Uhr. Ich blicke in die Schwärze vor mir.       
Das Leben ist schwer zu verstehen seit Zahlen Wörter abgelöst haben. Alles hat an Fahrt aufgenommen und aus dem Horizont ragt bereits die Spitze des Turms. Wir erwarten ihn mit Begeisterung. Auf der Strecke bleiben irgendwann alle, gefangen in vier endlosen Wänden; es ist tiefe Schwärze, in die wir blicken. Doch wo nichts ist, herrscht endlich Ordnung.
Wir müssen anfangen wieder simpler zu denken. Mit „wir“ meine ich nur mich selbst. Doch der einzige Ort, an dem ich noch allein bin, ist der eigene Kopf. Auf diese Hoffnung trinke ich, die Schwärze vor mir.

Monday, August 12, 2013

Verregnete Sommertage

Das Surfen des Internet hat mich schon soweit vereinnahmt, dass ich an einem verregneten Nachmittag ohne neuen "content" nicht mehr weiß, was ich mit mir anfangen soll. Mal durchstöbert man seine Musiksammlung und liegt dann mit einem Joint im Bett, andern mal sitzt man auch einfach nur da und kifft.
An so einem Tag beschließe ich einmal viertel neun doch noch duschen zu gehen. Der innere Teil von mir, der sich gegen die Apathie meines Ichs, den lifestyle eines Junkies zu tolerieren und alles so hinzunehmen wie es kommt, mit Fußtritten wehrt, übernimmt einmal mehr den Körper und nach ein paar reflektierenden Bodenübungen spürt man das Wasser fast wie einen warmen Sommerregen auf der Haut. Meiner weiterhin verschobenen Wahrnehmung nach trauend, muss ich meinen Kopf wohl stundenlang kniend gewaschen haben. Typische Gedankengänge von alltäglichen Fragen, wie der verbleibenden Laufzeit der Waschmaschine oder dem virtuellen Sortieren von Problemen, die vom Wasser weggespült werden. Doch die Gedanken verwischen so schnell und sind dabei kaum greifbar durch beides, content und Zeit, dass ich mich im Urlaub am Meer in der Zukunft sehe und doch bin ich ein Vierjähriger, der von seinem Großvater in der Badewanne "den Buckel" gewaschen bekommt.
Viele Dinge scheinen gleichzeitig und ohne Zeitverlust abzulaufen, wenn man stoned ist. Im Hinterkopf höre ich immer wieder die Zeile "This is not what you wanted, nor what you had in mind" aus "Bad Kingdom". Sicherlich ist es eine verstörende und ziellos machende Zeit. Sicherlich ist auch die Apathie meines Ichs irgendwo in der Wahrheit versteckt, doch ist das so schwierig auszumachen wie Spucke im Meer.
Beim Abtrocknen frage ich mich, halb rhetorisch, ob der große Mann hinter mir in der Badewanne sein Leben so im Kopf hatte. Andächtig an seinen zu frühen Tod tropft der nächste ins Becken. Der beste Freund meines Vaters, eine weitere traurige Geschichte, die man als Übriggebliebener zu erzählen hat. Nach der Wiedervereinigung war der Dampfer schnell abgefahren, eine Ehe die nicht hält, kein Sorgerecht, die ganze Palette. Sein letzter Urlaub war am Meer, das Foto von ihm beim Tauchen bewahre ich immernoch wie einen Schatz. Außer den Fotos bringt er eine innere Kopfverletzung mit. In der letzten Nacht fließt wieder einmal zuviel Alkohol. Allein zu hause.
Für mich ist einmal Duschen wie eine Weltreise, weil ich meine Gedanken damit nicht ertränken kann. Was ist Apathie, Realismus? Fürchte die Apathie mehr als Anthrax und Milzbrand sagen die Profis, für meinen Teil muss mehr gehen. Ein reißendes Gefühl von Schicksal, Ohnmacht und Determinismus fügt sich seine Bahnen, am Ende mündet doch jedes Bächlein ins Meer.

Monday, September 10, 2012

Betonwüstentraum

Allein in der Nacht, da ist kein Gericht für eine Klage
Der Mensch ist vor Lichtern blind; das Kind stellt's in Frage
Der Mond so rund und vollkommen

Allein in der Nacht, allein in der Stadt
Der Mensch träumt, nicht als Kind; von Trauer und Blamage
Der Mond so rund und vollkommen

Allein in der Nacht, da, ist nur eine Frage:
ist dieser Mond am Ende aus Beton?

Monday, April 9, 2012

"Frühstück um Fünf"

Mein Mitbewohner kam gerade angetänzelt und verkündete, in einem Anflug von vollkommener Erkenntnis, eine grundsätzliche und unberührbare Wahrheit des Universums begriffen zu haben, und wollte sich damit vor mir in Szene setzen - mal wieder.
Selbstverständlich war ich sauer darüber, dass er immer nur seine frische Wäsche vom Ständer abhängt und ich war mir durchaus im Klaren darüber, dass ich ihn das spüren ließ, wenn auch nur subliminal, aber er spürte es. Er allerdings, mit seiner nahezu buddhistischen Veranlagung alle aufkommenden Wogen zu glätten, wie eine Hausfrau mit Bügeleisen bewaffnet vor der fertigen Monatswäsche, erfand in seiner spielerischen Schwärmerei (Okay, vielleicht erfand er ihn garnicht aber wir tun mal so) gleich einen Grund, der auch diese Falte unserer Beziehung leichtfüßig glätten sollte.

Natürlich sei meine Kleidung einfach immer noch nass, wenn er seine schon abhängt. Ja, sicher, meine Klamotten sind ja auch eine ganze Nummer größer als deine. Oh man, in solchen Situationen möcht' ich am liebsten ausrasten. Mit einem anfliegenden Lächeln schlucke ich den Ärger hinunter und antworte mit einem außerordentlich phatischen "Stier...". Ich wende mich jetzt wieder meinem Kaffee zu, dem einzig Wahren.
Welchen Grund kann es haben, dass der Typ praktisch immer deeskalierend auf meiner Schulter auftaucht, wo ist Donald Duck im Satanskostüm auf entsprechendem Platz? Immer wieder finde ich mich in so einem cartoonesken Szenario wieder, in der eine mahnend helle Stimme in mir zu Wort kommt. Nennt es Gewissen oder was auch immer, ich verstehe nur nicht, warum nie eine sinistre Stimme in mir quellt, sobald ich meiner Meinung mal was gutes vollbringe. Naja die Antwort auf so eine Frage fällt einem sicherlich nicht beim Frühstück ein, am Ende bin ich noch selbst dieser Teufel.
Was klar war, er setzt sich jetzt auch noch an den Tisch und beginnt sein Toast zu futtern. Dabei schmatzt er zwar nicht, doch seine Kaugeräusche sind lauter als jede Autobahnbaustelle - was auch klar war. Wie bitte? Bitte sprich nochmal mit vollem Mund, damit ich dich so wunderbar verstehen kann. Junge, Junge, wie bin ich nur hier rein geraten. Nein, das war keine Frage, ich weiß es doch. Trotzdem das geht auf keine Kuhhaut wie der versucht in der Gunst aller, die sich um ihn herum aufhalten, zu steigen. Das ist schon so gewollt, wenn du von der Arbeit ins Wohnzimmer stapfst, deine abscheulichen Füße mit deinen abscheulichen braunen Tennissocken vor mir auf dem Tisch abstellst und darauf wartest, dass wir Konversation haben? Ich bin mir sicher, du hattest einen sehr schlimmen Tag. Ich bin ganz untröstlich, ja, doch. Erzähl mir mehr darüber, wie gemein dein Chef ist, während du auf deinem Smartphone herumstreichelst. Gekauft mit dem Geld aus deinem Job, was sonst.
Was ich heute so gemacht habe? Keine Ahnung, nicht viel. Gezockt, mir Einen runter geholt, gekifft, 'ne instant Suppe gefuttert und dann alles von Vorne. Wen interessiert es, ich lass' dich doch auch in Ruhe. Scheiße ja, du solltest es endlich begreifen. Du kommst hier rein und schmeißt deinen Kadaver neben mir auf die Couch. Wenn ich dann so tue, als seist du nicht anwesend, ist das Absicht.
Ich spare mir persönlich zu werden und erzähle ihm all die Großtaten, die ich heut' vollbracht habe. Einkaufen, mhm... sogar gewaschen habe ich, die Wäsche vom Ständer hab ich auch abgehängt. War übrigens alles trocken.

Ich lasse meinen Blick jetzt endlich wieder wandern, der war durch das Bestreben gewisse Menschen zu ignorieren, wie durch Magie, starr geworden. Komisch, dass ich nichtmal dann meinen Hals wenden kann, wenn ich es auch will. Jedenfalls stoße ich dabei auf den einen Fleck an der Tapete, über den sich hier jeder schonmal aufgeregt hat. Wie kam der eigentlich nochmal da hin...
Einer dieser seltsamen Momente, in denen das Bewusstsein total abdriftet um bloß nicht mit dem Hier und Jetzt interagieren zu müssen. Lieber in die Langeweile flüchten als der Realität entgegenzutreten (quasi wie Mathe in der achten Klasse). Was mir langsam zu denken gibt ist nur, dass ich viel lieber der Waschmittelwerbung im Fernsehen lausche als meinem phrasendreschenden Kollegen, der mit seiner künstlichen Langeweile so langsam meine Geduld herausfordert. Und weil er jetzt endlich für einen Augenblick den Mund hält, herrscht das erste mal Ruhe, seitdem er den Raum betreten hat. Was er jetzt wohl denkt? Vielleicht hat er gemerkt, dass ich keine Lust auf ihn habe und er geht gleich wieder. Auf der anderen Seite bräuchte man für eine derart Dupin'sche Analyse ein Minimum an Emphatie... nein wirklich, das wäre zuviel verlangt. Ich schau' zwar nicht hin, trotzdem weiß ich einfach ganz genau, welchen Gesichtsausdruck er aufgesetzt hat. Die Miene, die wohl Lässigkeit vermitteln soll. Habe nie eine gelangweiltere gesehen.
Spontanes Kopfkino: Schaum vorm Mund. Wut. Donald Duck beißt dem Engel auf meiner Schulter den Kopf ab, beim Kauen zerbersten Knochen, ich höre wie die Schädeldecke aufknackt, dabei ertappe ich mich, wie ich ungewollt auf meinen Zähnen knirsche. Enten haben garkeine Zähne. Was für ein tougher motherfucker.

Dann schaue ich meinem Couchgenossen ausversehen ins Gesicht, für ihn das Signal zum weiterlabern. Man, muss dem langweilig sein. Gibt nichts langweiligeres als gelangweilte Menschen. Und gelangweilte Menschen mit Fußgeruch als topping sind unerträglich. Jetzt wird mir langsam schlecht, ich muss mal los.
Draußen dann die Ernüchterung, Zigaretten helfen bei Stress. Wie Schokolade nach einem Dementorenangriff bei Harry Potter. Hach, da wird mir gleich warm ums Herz. Bei den Schweißfüßen hätte es vielleicht noch eine Minute gedauert und ich hätte meine Nudelsuppe von vorhin körpertemperiert wiedergegeben. Wie der das selbst aushält ist mir schon ein Rätsel, aber eins von denen die vom Hippocampus aussortiert werden.
Dieser kleine Kerl ist wohl die wichtigste Schaltzentrale im Limbischen System und gehört damit zu den ältesten Einrichtungen des Gehirns. Er entscheidet, wie König Minos, welcher Gedanke in Erinnerung verbleibt, oder ins Nichts verdammt wird.

Blitzschnell drängt sich für mich da die Frage auf, was es wohl damit auf sich hatte, als die Natur zu dem Konsens kam, uns selbst gar nicht entscheiden zu lassen, welche Erinnerungen letztendlich wichtig für unser Überleben sind. Entscheidung. Ein Wort, dass für mich bisweilen seine Bedeutung verloren hat, da kann ich mir schlecht ein lautes Lachen verkneifen.
Was ist diese Entscheidung denn. Sie ist schon getroffen, wie das Wort es selbst suggeriert. Ein abwägen, ob man zur Waffe greift oder nicht - doch hat man's schon gemacht, wenn das Schwert "ent-scheidet" ist. Es geht also vielmehr um den Prozess des Entscheidens? Bruchteile von Sekunden in denen das Universum beweist, wie viele wertvolle Rätsel in ihm stecken. So lang wie ein Augenblick dauert, erhält man dann Einblick in wunderbare Vorstellungen und Gedanken, die ich nie aufgeschrieben habe, weil Minos das goldene Szepter schwang. Keine Erinnerung darf bleiben, es fühlt sich an als würde das eigene Haus abbrennen, als ginge ein ganzes Vermächtnis direkt flöten und man kann nichts daran ändern. Doch anstatt den Brand sehen zu können erblinde ich beim Versuch einen letzten Blick auf geliebtes zu erhaschen und die Gedanken verschwimmen.
    Alles unwichtiges Zeug, wenn's so wichtig war, wirst du dich schon nochmal dran erinnern (wer's glaubt wird selig).
Da geschieht es wieder und ich frage mich, ob der sich da drin mittlerweile die Füße gewaschen hat. Das nenne ich mal authorisierte Nahrung für das Seepferdchen im Kopf. Genau wie Woody bei Toy Story, darf auch dieses Rätsel nicht mit zum Pizzaplanet fahren. Hm, langsam bekomm ich doch wieder Appettit.